Zum 150. Geburtstag von Paul Keller

– Beitrag: Karin Thomas-Martin –

Paul Keller wurde am 6. Juli 1873 als Sohn eines Maurers und Schnittwarenhändlers in Arnsdorf/Milikowice, Kreis Schweidnitz/Świdnica geboren. Er war Lehrer in Jauer/Jawor und Breslau/Wrocław. Keller gründete die Zeitschrift „Die Bergstadt” (1912–1931) und schrieb Romane und Gedichte.
Sein Roman „Ferien vom Ich” wurde sogar zweimal verfilmt. „Bergkrach” ist wohl sein berühmtestes schlesisches Mundartstück. Paul Keller starb am 20. August 1932 in Breslau und wurde auf dem dortigen Laurentiusfriedhof bestattet. Der VSK bemüht sich derzeit, seine Grabstätte weiter zu erhalten.

Paul Keller: “Mein Roß und ich” (Ausschnitt)
Ich ging nicht in die Schule – ich ritt! Ich konnte mir das leisten, denn ich hatte ein Roß, das nicht rechnen konnte. Bei »zehnstündiger Arbeitszeit« arbeiteten nach Meinung meines Rosses die bekannten »sechs Arbeiter« an dem bekannten »Graben« immer zehnmal so lange als bei einstündiger. Dieses Roß hieß Reinhold Sander, war zwei Jahre älter und zwanzigmal so stark als ich und im übrigen der gutmütigste Schuljunge von der Welt. Jeden Morgen erschien mein Roß in meiner großväterlichen Wohnung, stopfte sich schnell einen Apfel oder was etwa sonst Genießbares auf dem Fensterbrett lag, in die Hosentasche, setzte mich auf seine Schultern und trabte mit mir zur Schule, wo es mich auf meinem Platz sänftiglich absetzte. Dafür machte ich meinem Rößlein in der Rechenstunde die tadellosesten »Bruchansätze«. Eines schönen Maimorgens ritt ich nun gerade zur Schule, stolz wie Darius zur Schlacht, als uns ein Mann begegnete, den sowohl mein Roß als ich nach dem ersten prüfenden Blicke als einen „Stadtklecker” einschätzten. Als »Stadtklecker« galt damals in meinem Feld-, Strauch- und Wiesendorfe ohne weiteres jeder städtisch gekleidete Mensch, der sich in seiner Gemarkung blicken ließ.
– Nanu, nanu – machte der Fremdling verwundert und musterte uns. – Wo geht die Reise hin?
– In die Schule! – sagte ich und fuchtelte siegesgewiß mit meinem breiten Lineal.
– Aber, Junge, warum gehst du denn nicht zu Fuß? Kannst du denn nicht laufen?
– Besser wie Sie! – sagte ich frech.
Der Fremde erzürnte sich und schnauzte mein Roß an:
– Wirf doch den Bengel ab! Wirst dich doch nicht mit ihm abrackern!
Mein Roß schüttelte die Mähne und stieß Dampf aus den Nüstern. Dann sagte es:
– Er läßt mich die Regeldetri-Aufgaben (Dreisatz) abschreiben, und überhaupt geht Sie das ‘n Quark an.
Nun raste der fremde Wandersmann und wollte mit seinem dünnen Spazierstock meinem Roß eins auf den sogenannten Bug geben. Das aber schlug nach hinten aus, trat in eine Pfütze, bespritzte den Fremden von oben bis unten und setzte sich in Galopp mit mir.
Als wir ein Stück davon waren, sang ich mit lieblicher, heller Stimme: – Stadtklecker! Stadtklecker! – und mein Roß wieherte und wieherte deutlich auf den Text „Stadtklecker! Stadtklecker!”
An diesem Tage aber hatten wir in der ersten Stunde biblische Geschichte. Da ich zu Hause vergessen hatte, die »Bibel« zu lernen, wollte ich auf den Vorzug, sie vortragen zu dürfen, lieber verzichten und bat daher gleich nach Anfang der Stunde den Lehrer, »mal austreten« zu dürfen. Er brummte etwas von »ewigem Gelaufe« und ließ mich ziehen. …

→ Weiterlesen im GAL 70, S. 47 …


← zur Startseite