Revolution auf dem Lande — Die Märzrevolution 1848 im Hirschberger Tal

– Beitrag: Jürgen Karwelat –

2023 ist das Jahr der 175. Wiederkehr der revolutionären Ereignisse des Jahres 1848. Die Februar-Revolution in Frankreich mit dem Sturz des „Bürgerkönigs” Louis-Philippe war die Initialzündung für eine europaweite Bewegung, mit der sich die unterdrückte Bevölkerung ihr Recht auf Mitsprache und soziale Beteiligung erkämpfen wollte. Auch im Deutschen Bund kam es zu Unruhen und Aufständen, die am 18. März 1848 in Berlin darin mündeten, dass das preußische Militär sich nach blutigen Barrikadenkämpfen aus der Stadt zurückziehen musste und der preußische König die Einberufung eines Parlaments, die Aufhebung der Zensur und zahlreiche demokratischen Rechte wie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einräumen musste.

Die Revolution hatte vorübergehend gesiegt. In zahlreichen deutschen Fürstentümern standen die Adeligen mit dem Rücken an der Wand und räumten den Aufständischen demokratische Rechte ein. Hierbei ging es vor allem um die noch zahlreich vorhandenen Verpflichtungen der Bauern gegenüber den Gutsherren wie Hand- und Spanndienste, finanzielle Leistungen an die Gutherren und deren Privilegien gegenüber den Dorfbewohnern, die sie sich im Laufe der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte verschafft hatten, wie z. B. das ausschließliche Jagdrecht und
die Nutzung des Waldes.
Während heute vor allem im Südwesten von Deutschland, besonders in Baden, an die demokratischen Basisbewegungen in den 1830er und 1840er Jahren erinnert wird und diese Erinnerung lokalhistorisch verankert ist, gerieten die Forschungen zu den Ereignissen in der damaligen preußischen Provinz Schlesien nach 1945 in den „geschichtlichen Windschatten” – obwohl die Bewegungen in Schlesien wesentlich bedeutsamer als in anderen Teilen des preußischen Staates waren. Es ist besonders zwei Wissenschaftlern der DDR zu verdanken, dass dieser wichtige Teil der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert näher beleuchtet und dargestellt wurde. Ihr Interesse an schlesischer Geschichte ist in ihrer Biografie begründet. Helmut Bleiber (1928–2007) aus Weißwasser/Grafschaft Glatz und der 1930 nahe Breslau geborene Walter Schmidt haben zahlreiche Bücher und einzelne Beiträge zur Geschichte der 1848er Revolution veröffentlicht. Insbesondere Helmut Bleiber hat schon vor 1989 die Archive in Polen nutzen können. Im Archiwum Państwowe we Wrocławiu (Staatsarchiv Breslau) sind zahlreiche Dokumente des Archivs der Schaffgottsch’schen Herrschaft erhalten, die einen tiefen Einblick in die Verhältnisse insbesondere im Hirschberger Tal in den 1840er Jahren gestatten.

Revolution, Aufruhr, Unruhen

Äußerst detailreich sind die Ereignisse von Helmut Bleiber und Walter Schmidt in dem Buch „Schlesien auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft, Erster Halbband” beschrieben. Sie belegen, dass die Ideen der Revolution besonders in Schlesien Fuß gefasst hatten. Der Konservative und königstreue Joseph von Radowitz nannte schon in seiner Denkschrift vom 20. April 1848 Schlesien gar „das schlimmste aller preußischen Lande”: In Schlesien setzten sich bei den Wahlen zur preußischen und zur deutschen Nationalversammlung besonders viele linke demokratische Kandidaten durch. Die besondere Stärke der demokratischen Bewegung in Schlesien betont auch der westdeutsche Historiker Arno Herzig in seinen Veröffentlichungen.
Nur sehr wenige Landkreise waren von der demokratischen Bewegung unberührt geblieben. Vor allem längs des Gebirges und des unmittelbaren Vorlandes hatten ganze Gemeinden tätigen Anteil an der Erhebung gegen die Gutsherren. Im Mittelpunkt der Aktionen standen eindeutig die Forderungen nach Abschaffung der zahlreichen noch bestehenden Dienste und geldlichen Leistungen der Bauern gegenüber dem Grundherrn und die Beseitigung herrschaftlicher Privilegien wie das Jagdrecht und die Nutzung des Waldes.

Das Hirschberger Tal – ein Zentrum des Aufbegehrens gegen feudale Verhältnisse

Die Gebirgskreise hatten schon vor 1848 zu den unruhigsten Teilen Schlesiens gehört. Im Juni 1844 hatten sich die Weber von Langenbielau und Peterswaldau empört. Im Hungerjahr 1847 kam es erneut zu lokalen Unruhen der Weber. Auch die liberale und demokratische Aufklärungsarbeit des linksliberalen Hirschberger Lehrers Karl Friedrich Wilhelm Wander wird dazu beigetragen haben, dass die Bauern ihr Schicksal nicht als gottgegeben angesehen haben. Weitere bekannte Demokraten waren Friedrich Wilhelm Schlöffel und Eduard Pelz.
Den Auftakt der ländlichen Märzbewegung machte eine Reihe von Dörfern in den Kreisen Hirschberg und Schönau am 21. März 1848, nachdem es am Tag zuvor schon Unruhen in der Stadt Hirschberg gegeben hatte. Zu den Gemeinden, die sich zuerst erhoben, gehörten die Dörfer der Grafen Schaffgotsch.
Der Ortsrichter von Warmbrunn hatte zum 21. März eine Versammlung der Landmänner anberaumt, da man in Schlesien mit der Mobilmachung rechnete, eine Maßnahme, mit der die preußische Verwaltung Unruhen schon im Vorfeld verhindern wollte. Bei der Versammlung sollte festgestellt werden, wer im Augenblick unabkömmlich war. Als sich die Landwehrmänner vor dem Haus des Ortsrichters versammelten, war aber von dem ursprünglichen Zweck der Versammlung nicht mehr die Rede. Die Versammelten forderten stattdessen, dass der Richter mit
ihnen zum Schloss gehen und die Aufhebung der Abgaben verlangen solle. Davon hatte ein in Warmbrunn ansässiger Hauptmann a.D. erfahren. Er sammelte rasch einige der Schaffgotsch’schen Herrschaft ergebene Leute und besetzte mit ihnen das Schloss. Auf diese Weise schaffte
es der Graf, einen Sturm auf das Schloss zu verhindern. Er konnte die aufgebrachten Männer dazu bewegen, dass nur eine kleine Abordnung in das Schloss entsandt wurde. Wohl angesichts der alarmierenden Meldungen, wie es anderen Gutsherren ergangen war, ging Graf Schaffgotsch auf die Forderungen ein und gab eine schriftliche Verzichtserklärung ab: „Ich verzichte 1) auf das Laudemium; 2) auf alle Dienste jeder Art; 3) auf die Spesen und Salzgelder; 4) auf das Zinsgetreide”. (Laudemium – Lehnsabgabe bei Erbe, Kauf oder Tausch). Dies bedeutete nicht mehr und nicht weniger als den Verzicht auf die Basis der jahrhundertelang ausgeübten Feudalherrschaft. Diese Erklärung war das Signal für das Aufbegehren in sämtlichen 40 Schaffgotsch’schen Dörfern.

→ Weiterlesen im GAL 70, S. 42 … mit Fortsetzung im → Beitrag im GAL 71, S. 39 …


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