Medizingeschichte in Görbersdorf: Der Kampf gegen die Tuberkulose

– Beitrag: Izabella Liwacz

Görbersdorf/Sokołowsko ist heute ein idyllischer, aber in Vergessenheit geratener ehemaliger Luftkurort mit verblasstem Flair im Waldenburger Bergland, malerisch gelegen in einem windgeschützten Talkessel nahe der polnisch-tschechischen Grenze.

Wahrscheinlich entstand das von bewaldeten Bergen umgebene Dorf in der Wende vom 13. ins 14. Jahrhundert. Ab dem 16. Jahrhundert gehörte es einem der reichsten niederschlesischen Adelsgeschlechter, der Familie von Hochberg aus Fürstenstein.

Marie von Colomb und Vincenz Prießnitz

Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Dorfes begann 1849, als im Ort eine Nichte von Marschall Blücher, Marie von Colomb (1808–1868), erschien. Sie war eine glühende Anhängerin der Heilmethoden des autodidaktischen Naturheilers Vincenz Prießnitz (1799–1851). Er war der Erneuerer der Kaltwasserkur. Aufgrund seines persönlichen Gesundungsprozesses gründete er 1830 in seinem österreich-schlesischen Heimatort Gräfenberg (später Lázně Jeseník) eine Wasserheilanstalt.

Wasserbehandlungen waren seit Jahrtausenden Bestandteil der Heilkunde. Prießnitz entwickelte keine neue medizinische Theorie, machte aber mit seinen Wasserkuren, Wickeln und Luftbädern die Hydrotherapie populär.

Marie von Colomb lernte in Gräfenberg zunächst als Patientin, danach 6 Jahre systematisch als „Studentin” die Heilmethoden von Prießnitz kennen. Mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrem ungewöhnlichen Selbstbewusstsein kaufte Marie von Colomb 1849 in Görbersdorf ein großes Mühlengelände und leitete ab 1850 dort ihre Kaltwasserheilanstalt. Sie war auch eine wichtige Wegbereiterin auf dem Weg der Frauen zum ärztlichen Beruf.

Hermann Brehmer

Der junge Schlesier Hermann Brehmer (1826–1889), damals noch Student der Naturwissenschaften in Breslau, hatte um 1847 in Gräfenberg Marie und ihre jüngere Schwester Amalie (1810–1866), die er bald heiratete, kennen gelernt. Ab 1850 studierte er Medizin in Berlin, am Heimatort seiner Frau. Schon in dieser Zeit arbeitete er am Projekt seiner Schwägerin mit, die sich auf Behandlung der Erkrankungen der Atemwege und Nerven spezialisiert hatte.

1853 beendete Brehmer seine Doktorarbeit „Über die Gesetze der Entstehung und des Fortschreitens der Tuberkulose der Lungen”.
Als das Unternehmen von Marie allerdings wirtschaftlich scheiterte, übernahm er ihre „Heilstätte” am 2. Juni 1854 und wandelte sie in die Brehmer’sche Heilanstalt für Lungenkranke um. Sein Plan, ein Sanatorium in einem waldreichen Gebiet des Mittelgebirges ausschließlich für Tuberkulosepatienten zu eröffnen, stieß jedoch zunächst auf behördlichen Widerstand. Dank der Unterstützung von z. B. Alexander von Humboldt ließen sich diese bürokratischen Hürden schließlich überwinden. Aber erst 1859 erhielt er die behördliche Konzession.

Vorbild für Davos

Nicht nur in Deutschland machte man sich Gedanken zu Heilungsmöglichkeiten der Tuberkulose. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden in Großbritannien erste Hospitäler für Lungenkranke. Es mangelte jedoch an einem eindeutigen Behandlungskonzept. Die ärztlichen Bemühungen beschränkten sich auf eine aufbauende Ernährung und erholsame Spaziergänge. Diese völlig unzureichenden Behandlungsmethoden konnten sich erst ändern, als Robert Koch den Auslöser der Erkrankung entdeckte: den Tuberkelbazillus.

Seine Entdeckung schuf eine Grundlage für die medizinische Behandlung der Krankheit. Das von Koch entwickelte Medikament namens Tuberkulin zeigte sich jedoch nicht als wirksames Mittel gegen Schwindsucht, wie man Tuberkulose früher genannt hatte. Erst Alexander Fleming, ein schottischer Bakteriologe, entdeckte 1928 das Antibiotikum Penicillin, was einen Durchbruch bei der Behandlung der Infektionskrankheit bedeutete.

In Görbersdorf erwies sich das wohltuende und gesundheitsfördernde Klima der erregerarmen Höhenluft, in Verbindung mit Brehmers hygienisch-diätetischer Therapie, bald als ein wirksames Mittel zur Linderung der zu diesem Zeitpunkt tödlichen Erkrankung. An der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert waren zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung von dieser Krankheit betroffen. Brehmers Heilmethoden wohldosierter Anwendung von Wasser und Luft, kombiniert mit diätetischer Behandlung im Rahmen von ganzjährigen Kuren, machten Görbersdorf zur Wiege der modernen Therapie gegen die Lungentuberkulose. Das Konzept war beispielgebend für weitere Waldsanatorien wie für das Berghotel Schatzalp oder die Hochgebirgsklinik im schweizerischen Davos. Thomas Mann hat dem Behandlungskonzept von Dr. Brehmer in „Der Zauberberg” (erschienen im November 1924) ein literarisches Denkmal gesetzt.

Das erste Kurhaus in Görbersdorf errichtete Brehmer in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Schritt für Schritt erweiterte er seine Lungenheilstätte. Ein neues Kurhaus wurde 1875 bis 1878 im Stil der Neuromanik und Neugotik erbaut. 1876 eröffnete Theodor Römpler, ein Schüler Brehmers, eine zweite große Heilanstalt, der 1883 die von Marie Gräfin Pückler gegründete und 1891 von Johann Weicker übernommene, dritte große Lungenheilanstalt folgte. Das Waldow’sche Sanatorium befand sich im Nachbarort. Um 1900 besaß Görbersdorf eine Aufnahmekapazität von über 1100 Sanatoriumsplätzen bei rund 1000 Einwohnern.

Gekürzte und aktualisierte Fassung des Artikels aus Schlesien Heute, Heft 6 2020. Wir bedanken uns für die Abdruckgenehmigung.

→ Artikel weiterlesen im GAL 73, S. 42 …


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