Endlich ein Buch, das die Dinge beim Namen nennt

– Beitrag: Sławek Gortych –

Eine polnische Sicht auf das Buch „In den Häusern der Anderen” von Karolina Kuszyk.
(Im Text wird der polnische Titel des Buches „Poniemieckie” – wörtlich „nachdeutsch” – verwendet.)

Remigiusz Mróz hat einmal gesagt, dass man einen aufrichtigen, leidenschaftlichen und fleißigen Schriftsteller an den ersten Sätzen seines Buches erkennt; ob sie gut durchdacht und ausgefeilt oder schlampig sind. Würden Bücher tatsächlich auf diese Weise beurteilt, so treffen bereits die ersten drei Worte von Poniemieckie mitten ins Herz. Diese sind auf einer Extraseite gedruckt und ein Zitat aus einem Gedicht von Tomasz Różycki: Alles bei mir war früher deutsch.

In ihrem Buch hat Karolina Kuszyk sich einer scheinbar unmöglichen Aufgabe gestellt: die Geschichte und Identität der „wiedergewonnenen”, genutzten und ausgenutzen Gebiete zu erzählen und zu beschreiben. Sie beschreibt Orte, wo gelebt und gestorben wird – Häuser und Friedhöfe; sie betrachtet die Dinge mit Sorgfalt – Gläser, Gemälde, Möbel, Postkarten und andere Schätze; sie versucht, die Landschaften dieser Gebiete zu beschreiben – die Vorkriegslandschaft, die wir 1945 vorfanden, und schließlich die heutige; sie reflektiert über die freudigsten und traurigsten Geheimnisse dieser Regionen – vom Überleben bis zum Wiederaufbau dessen, was der Krieg zerstört hat, bis hin zu Geschichten über unwiederbringliche Verluste und Plünderungen.

Schließlich analysiert Kuszyk unsere Beziehung zu diesem enormen Erbe; wie sich das Verhältnis von uns Polen zu diesem ehemals deutschen Gebiet verändert hat – vom Gefühl des Unrechts, das durch den Krieg verursacht wurde, von der Verdrängung der deutschen Vergangenheit dieser Gebiete, von Versuchen, bestimmte Elemente ihrer Geschichte aus dem Gedächtnis zu löschen, über Ausbeutung und Zerstörung, bis hin zu Zustimmung und Offenheit gegenüber der Wahrheit über die Vergangenheit. Und schließlich bis zum Stolz auf die Tatsache, dass wir das Privileg hatten, das Erbe so vieler Jahrhunderte schöner Geschichte in Niederschlesien, im Lebuser Land und in Westpommern fortzusetzen.

Die Autorin gibt jedem eine Stimme, der sich traut, sie zu erheben – sie erzählt die Geschichten der letzten deutschen Bewohner und widmet gleichzeitig den Erinnerungen der ersten polnischen Siedler nach dem Krieg viel Raum. Sie erkundigt sich sowohl bei Autoritäten, Professoren, Geschichtsforschern und lokalen Aktivisten, als auch bei völlig unbekannten Menschen, die in der Abgeschiedenheit ihres eigenen, ehemals deutschen Hauses versuchten, sich mit dessen Fremdheit vertraut zu machen und zu lernen, es als ihr eigenes zu betrachten. Sie zitiert Zahlen, Statistiken, wissenschaftliche Studien und Gedichte.

Gott, dieses Buch ist einfach so gut! Der Autorin ist das scheinbar Unmögliche gelungen – ein so großes Problem wie das der ehemals deutschen Gebiete in einem einzigen Buch zu behandeln, ohne sich dabei nur auf einen Aspekt zu konzentrieren, sondern einen Überblick über so viele damit zusammenhängende Themen zu geben.

Dieses Buch ist ein Vademecum für alle, die diese Gebiete verstehen möchten.

Als gebürtiger Niederschlesier, der die Geschichte dieser Gebiete dank der Erzählungen meiner geliebten Großmutter kennt, die einen wahren Wissensschatz darüber hatte, wie es hier von 1945 bis heute aussah, möchte ich sagen: Dieses Buch ist authentisch. Viele der Erinnerungen, Emotionen, Ängste und Hoffnungen sowie lustigen und traurigen Anekdoten, die die Autorin einfängt, stimmen mit den Erzählungen meiner Großmutter überein.

Dieses Buch ist die Wahrheit, die wir so dringend gebraucht hätten. Wenn ich mich daran erinnere, wie viele Jahre ich als Teenager damit verbracht habe, nach der Wahrheit darüber zu suchen, woher wir hier in Niederschlesien stammen; wenn ich an die jämmerlichen Geschichtsbücher und an die Stunden des Geschichtsunterrichts zurückdenke, in denen ich kein Wort über mein Heimatland gelernt habe, dann empfinde ich Mitleid mit denjenigen, die diesen Lehrplan entworfen und diese dummen Lehrbücher geschrieben haben. Denn ich habe alles über mittelalterliche landwirtschaftliche Prinzipien gelernt (das unvergessliche System der Dreifelderwirtschaft…); ich konnte die polnischen Könige nennen, einschließlich ihrer Regierungs- und Krönungsdaten; ich wusste genau, wie die Krimkriege aussahen; ich konnte alle Ursachen des Dreißigjährigen Krieges, des Hundertjährigen Krieges und des Viele-Jahre-Krieges nennen; ich analysierte alle antinapoleonischen Koalitionen. Darüber hinaus lernte ich, Napoleon zu respektieren, der Länder zwar angriff, plünderte und zerstörte, aber Polen war ihm dabei völlig egal (und wir versuchen immer noch, diesen Wahnsinnigen und Diktator mit Größenwahn in unseren Geschichtsbüchern zu einem Helden zu machen). Kurz gesagt: Ich wusste alles über alle, aber irgendwie ist es so gelaufen, dass mir nichts über das Drittel Polens erzählt wurde, in dem ich lebe und das vor dem Krieg nicht zu Polen gehörte.

Und heute bin ich auch wütend – dieses Drittel des Landes ist nicht so klein, dass die Autoren des Lehrbuchs es übersehen haben könnten! Und trotzdem wusste ich auch alles über alle Aufstände, die nicht bei uns stattgefunden hatten; über Könige, die es bei uns nicht gegeben hatte; über Unionen, die unser Gebiet nicht betrafen… Und durch diese Lehrbücher fühlte ich mich minderwertig – dass ich auf einem solch unpolnischen Boden lebte, in dem es keine Könige und keine Aufstände gab, auf das ich wohl nicht stolz sein durfte, da es nur ein „Geschenk” der verhassten Roten Armee war, ein „Geschenk”, um das wir nicht gebeten hatten und das uns bei irgendeiner Konferenz aufgezwungen wurde, bei der wir nicht einmal anwesend waren.

Und dann wurden Polen aus der ganzen Welt in diese „geschenkten” Gebiete gebracht; meine Familie aus der polnischen Diaspora in Jugoslawien (Anm. Nähere Informationen zu den „jugoslawischen” Polen in Schlesien finden Sie → hier); Menschen, die aus den östlichen Grenzgebieten Polens vertrieben wurden; Polen, die von ihrem Aufenthalt in Sibirien traumatisiert zurückkehrten; Lemken, die im Rahmen der Operation Weichsel aus Südostpolen vertrieben wurden. Und all diese Menschen wurden im ehemaligen deutschen Gebiet in einen Topf geworfen. Was steht in den Schulbüchern? Während der kommunistischen Ära wurde die Propaganda verbreitet, dass es sich um Piastenland und ein Geschenk des großen russlands [sic! eine bewusste, stilistische und politische Schreibweise] handelte. Jetzt, im freien Polen, sagen die Schulbücher einfach nichts.

Deshalb wünschte ich mir, dass es in meiner Schulzeit dieses Buch in den Buchhandlungen gegeben hätte. Es wäre damals viel einfacher gewesen, mein Haus, mein Heimatland und meine Familiengeschichte zu verstehen.

Ich träume manchmal davon, Porträts wichtiger Schriftsteller an den Wänden meines Hauses aufzuhängen, wenn nur mehr Platz wäre. Schriftsteller, deren Texte meine Wahrnehmung der Realität besonders beeinflusst haben. Wenn ich jemals diese „Schriftstellergalerie” erstelle, brauche ich wahrscheinlich eine extra große Wand für das Porträt von Karolina Kuszyk, da ihr Buch „Poniemiekie – In den Häusern der Anderen” mir so viel bedeutet.

Karolina Kuszyk, „In den Häusern der Anderen”, Ch. Links, 2022

→ Beitrag weiterlesen im GAL Nr. 74, S. 10 …


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