Christiane Hoffmann „Alles, was wir nicht erinnern“

– Buchrezension von Jürgen Karwelat-

Über diesem Buch liegt ein Schleier von Traurigkeit. Dies liegt daran, dass die Autorin, Jahrgang 1967, die im Hauptberuf stellvertretende Regierungssprecherin der Bundesregierung ist, hier selbst zu wenig gesprochen hat. Sie ist zu spät gekommen, um mit ihrem Vater, der von sich aus wenig reden wollte, über sein Leben, besonders über seine Kindheit zu sprechen. Ihr Vater stammt aus Rosenthal, heute Różyna, einem Dorf circa 60 Kilometer südöstlich von Breslau, am Rande Niederschlesiens zur Grenze nach Oberschlesien.
Ihr Vater musste, wie auch die anderen Rosenthaler, seinen Geburtsort am 22. Januar 1945 verlassen, als die deutschen Bewohner aufgefordert wurden, sich vor der heranrückenden sowjetischen Armee in Sicherheit zu bringen. Die Flucht des Trecks ging westwärts durch das Vorland des Riesengebirges nach Zittau in Sachsen, dann durch das Sudetenland bis in die Nähe von Bayern und Thüringen, wo sich der Treck am 2. März 1945 in Klinghart, heute Křižovatka/Tschechien, auflöste. Die Rosenthaler verstreuten sich in verschiedene Regionen Deutschlands.
Christiane Hoffmann hat den Fluchtweg nachvollzogen. 75 Jahre danach, am 20. Januar 2020, macht sich Christiane Hoffmann zu Fuß auf den Weg von Rosenthal bis nach Klinghart, 550 km nach Westen. Dieser Weg führt sie unter anderem nach Reichenbach/Dzierżoniów, wo die Synagoge von den Nazis nicht angezündet worden war, weil die Gemeinde das Gebäude an einen Gärtner verkauft hatte. Sie
macht Rast in der Villa Greta am Rande des Bober-Katzbach-Gebirges, wo heute Krysztof, der Enkel eine außerordentlich gelobte Pension mit dem Namen seiner deutschen Großmutter führt. Kleinhelmsdorf/Dobków ist mittlerweile als Künstlerdorf in ganz Polen bekannt. Sie kommt
auch durch Lähn/Wleń und übernachtet im Hotel von Luk Vanhauwaert, einem Belgier, der sich vor 20 Jahren auf der Durchreise nach Krakau in die Landschaft und das Herrenhaus Lähnhaus verliebte, es kaufte und seit dieser Zeit langsam aber stetig renoviert.

→ Weiterlesen im GAL 69, S. 49


← zur Startseite