– Beitrag: Jakub Halor, Nikolaus Graf von Ballestrem –
Die umfangreiche Infrastruktur der Sandbahnen war während des gesamten 20. Jahrhunderts ein äußerst charakteristisches Merkmal der Landschaft des Oberschlesischen Industriebezirks (GOP) und seiner Grenzen. Die Hauptaufgabe von Sandbahnen, also der Transport von Verfüllsand mit der Eisenbahn, bestand darin, Materialien für die Verfüllung von Bergbaugruben zu liefern, um die nachteiligen äußeren Auswirkungen des Bergbaus, insbesondere Bergsenkungen, die zur Zerstörung von Straßen und Gebäuden führen, zu verringern und die Eisenbahninfrastruktur, Rohrleitungs- und Übertragungsnetze und natürliche Lebensräume zu erhalten. Die Technologie des flüssigen oder hydraulischen Versatzes hat sich im Oberschlesischen Industriebezirk dank des Vorhandenseins großer Kohle- und Sandvorkommen in unmittelbarer Nähe zueinander im dicht besiedelten und urbanisierten Gebiet des oberschlesischen Ballungsraums und seiner Umgebung im weltweit größten Maßstab entwickelt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die zuvor eigenständigen Sandbahnlinien zu einem umfassenden, weitgehend autonomen und integrierten Verkehrssubsystem zusammengefasst. Die Erschöpfung der verfügbaren Lagerstätten und die sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen des Bergbaus trugen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zur sukzessiven Aufgabe des hydraulischen Versatzes und zur Auflösung der Sandbahnen bei.
Vorwort zur deutschen Ausgabe
von Nikolaus Graf von Ballestrem
„Jeder kennt die Bahn als Beförderungsmittel von Personen und Gütern. Allerdings geht man in der Regel davon aus, dass Personen- und Güterverkehr auf ein und demselben Gleis stattfinden. Dass ein komplettes Schienensystem nur für den Transport eines einzigen Transportguts entwickelt und gebaut wurde, ist eher ungewöhnlich.
Im Laufe meiner Auseinandersetzung mit der eigenen Familien- und Konzerngeschichte hatte ich bereits von den Sandbahnen und den Sandbahngesellschaften gehört. Deren zentrale Bedeutung für den Konzern und die ganze Region erschloss sich mir jedoch zunächst nicht. Vielmehr nahm ich diesen Zweig des Betriebes als eines der vielen Details unserer Konzerngeschichte wahr. Erst seit ich an die Orte meiner schlesischen Familie reise, erlebe ich dort die Auswirkungen des Bergbaus. So müssen beispielsweise in den von meinen Vorfahren erbauten Kirchen St. Johannes der Täufer in Zabrze/Biskupitz (Biskupice) und St. Josef in Ruda (Ruda Śląska) in regelmäßigen Abständen Risse in den Fundamenten und im Mauerwerk geschlossen werden. Diese Orte sind für das familiäre Bewusstsein von besonderer Bedeutung, da sie die Grablegen meiner Familie beherbergen. Auch meine Besuche in den von meiner Familie erbauten Bergarbeitersiedlungen zeigen deutlich die Auswirkungen des Bergbaus. Besonders eine Wohnung steht mir in diesem Zusammenhang deutlich vor Augen, vom Eingang bis zum hinteren Ende weist sie einen Niveauunterschied von vielen Zentimetern auf. Nur die massive Bodenplatte schützt das Haus vor dem Kollaps. Diese und andere Bergschäden prägen und prägten schon immer die ganze Region.
Es ist erstaunlich zu erleben, wie der Bergbau einerseits als wirtschaftliche Basis einen ganzen Landstrich am Leben erhält und diesen andererseits gleichzeitig zerstört. Eine Tatsache, die man nicht erst heute erkennt, nachdem wir uns weit mehr mit Nachhaltigkeit beschäftigen als vor hundert Jahren. Denn auch wenn ökologische Fragen zur Zeit meiner Vorfahren eine eher untergeordnete Rolle spielten, so stand für uns als Familienkonzern der Erhalt der ökonomischen Grundlage für die zukünftigen Generationen stets im Vordergrund.
Dieses langfristige Denken, über die eigene Generation hinaus, würde man sich auch heute wünschen, in einer Zeit, in der zwar die Natur mehr im Bewusstsein steht, die gegenwärtigen Konzernführungen jedoch oft die Verantwortung für ihr eigenes Tun nicht übernehmen und kaum über den absehbaren zeitlichen Horizont Ihrer eigenen Amtsperiode hinausblicken.
Vor diesem Hintergrund kann die Bedeutung der Sandbahnen kaum hoch genug eingeschätzt werden. Sie verdienen zu Recht einer eigenen und differenzierten Betrachtung. Die Sandbahnen sind ein gutes Beispiel, dass trotz intensiver, industrieller Nutzung, stets der verantwortungsvolle Umgang mit dem anvertrauten Besitz im Vordergrund stehen sollte.“
Das Buch von Jakub Halor „Sandbahnen in Oberschlesien” wird noch 2025 im Laumann-Verlag erscheinen.
→ Beitrag lesen im GAL Nr. 74, S. 49 …