Aus Steinen Brot – Das schlesische Natursteinunternehmen Thust

– Beitrag: Jürgen Karwelat –

Am 12. Oktober 2021 verstarb Wolfgang Thust im Alter von 84 Jahren in Balduinstein an der Lahn. Er war der Inhaber in der fünften Generation des traditionsreichen schlesischen Natursteinwerks C. Thust, gegründet 1819. Und er war ein langjähriges aktives Mitglied des VSK, des Vereins zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur. In dieser Funktion habe ich ihn kennen gelernt. Wolfgang Thust war immer bereit, über eine Vielzahl von Themen zu sprechen, nicht nur zu seinem Lebensthema: den Steinen, insbesondere dem schlesischen Marmor und seiner vielfältigen Verwendung. Lange habe ich darüber nachgedacht, ob und wie ich die Familien- und Unternehmensgeschichte dieses umtriebigen Mannes aufschreiben könnte, ohne Gefahr zu laufen, eine allzu glatte Darstellung zu Papier zu bringen. Es geht immerhin um die Geschichte eines Unternehmens, das in den 1920er und 1930er Jahren, also in schwierigen Zeiten, eines der größten deutschen Steinmetzunternehmen war. Zudem sind die schriftlichen Quellen wenig umfangreich, so dass die Firmengeschichte nicht vollständig überliefert ist.

Am Anfang stand die Religion

Der Gründer der Firma, Carl Christian Thust, wurde 1804 in Gnadenfrei/Piława geboren. Das Dorf liegt etwa 60 Kilometer südlich von Breslau/Wrocław an den Ausläufern des Eulengebirges. Gnadenfrei war die Siedlungsgründung der böhmisch-mährischen Brüderkirche, die als vorreformatorische evangelische Glaubensgemeinschaft („Böhmische Brüder”) aus Böhmen vertrieben worden war und sich in Schlesien ansiedelte. Zuerst fand die Gemeinschaft Zuflucht auf einem Gut von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf in der Oberlausitz. Dort wurde 1722 als eine eigenständige christliche Gemeinschaft Herrnhut gegründet, die als Handwerkerkolonie deutschsprechender mährischer Exulanten begann. Nach Beendigung der schlesischen Kriege Preußens gegen Österreich gestattete der preußische König der Gemeinschaft weitere Siedlungen in Schlesien. 1743 entstanden so Niederlassungen in Gnadenberg/Godnów, heute Gemeinde Kruszyn nahe Bunzlau/Bolesławiec, und eben die Kolonie Gnadenfrei bei Reichenbach/Dzierżoniów. Es folgten später weitere Gründungen z.B. Gnadenfeld/Pawłowiczki.

Die „Herrnhuter” waren tiefgläubig. Sie zeichneten sich besonders dadurch aus, dass sie einen großen Gemeinschaftssinn hatten und besonderen Wert auf die praktische Ausbildung ihrer Mitglieder legten. Die Arbeit für die Gemeinde („Gemeine”) war Teil ihres Glaubens. So wurden auch Gemeinschaftsunternehmen gegründet, und die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Mitglieder war Gegenstand der gemeinsamen Planung. Neben dem Gotteshaus wurden Gemeinschaftswerkstätten, Gaststätten, Schulen und Häuser für die alten, nicht mehr arbeitsfähigen Gemeindemitglieder geschaffen. Die Brüder gründeten Banken, die die wirtschaftliche Betätigung der Glaubensgemeinschaft unterstützten. Die „Herrnhuter” und ihr Zentrum in Herrnhut besteht bis zum heutigen Tage. Weitere „Gemeinen” befinden sich in Deutschland, Dänemark und anderen europäischen Ländern, infolge der Missionsarbeit auch außerhalb Europas. Ein Schwerpunkt waren die USA. Heute zählen die „Herrnhuter” weltweit etwa eine Million Mitglieder, davon die Hälfte, was kaum bekannt ist, in Tansania.

Die Familie Thust war Teil der Gemeine in Gnadenfrei. Einzelne Familienmitglieder übernahmen dort führende Aufgaben. Allerdings schied die Familie Thust um die Jahrhundertwende in der dritten Generation der Firma aus der Gemeine aus. Leider wird aus den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht deutlich, aus welchem Grund sie die Herrnhuter Gemeine verließ. Waren es religiöse Gründe oder unterschiedliche Auffassungen über die wirtschaftliche Betätigung?

Der Firmengründer Carl Christian Thust (1804–1877) war das achte Kind des Dorfschmieds in Gnadenfrei. Der Vater starb 14 Tage vor dessen Geburt. Das Kind wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Mit nicht einmal 11 Jahren wurde Carl Christian Steinmetzlehrling bei Bildhauer Klose. Da sich der Meister weigerte, den fast 15-Jährigen zur Gesellenprüfung zuzulassen, entschloss sich der Junge im Jahr 1819 auf Anraten seines älteren Bruders, sich innerhalb der Gemeine selbständig zu machen. Bald belieferte er andere Steinmetze mit Rohlingen aus einem eigenen Steinbruch. Das Geschäft lief erfolgreich, so dass er schon nach sieben Jahren für die Familie ein stattliches Wohnhaus an der Hauptstraße von Gnadenfrei bauen konnte. Das Haus steht heute noch.

Der Aufschwung des Unternehmens führte dazu, dass 1863 eine Dampfmaschine angeschafft wurde, die die Steinsägen und Steinschleifmaschinen antrieb. Thust erschloss weitere Marmor-Steinbrüche.

→ Beitrag weiterlesen im GAL Nr. 74, S. 28 …


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