Die Villenkultur im Hirschberger Tal

– Beitrag: Christopher Schmidt-Münzberg –

Historische Hintergründe, Einordnung, Entwicklung der Stilistik, Ausblick in die Zukunft.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Mitteleuropa zunehmend der Tourismus. War bis dahin für die aufgeschlossenen bürgerlichen und adeligen Gesellschaftsschichten eine Reise in das südliche Europa (Grand Tour) das Ziel, so entdeckte man jetzt die reizvollen Landschaften vor der eigenen Haustür. Im Königreich Preußen rückte vor allem das damals zu Preußen gehörende schlesische Hirschberger Tal in den Fokus. Der Adel modernisierte und baute die vorhandenen Landsitze und Schlösser im Tal aus. Es galt nun auch beim Bürgertum, das dem Adel nacheiferte, als „très chic”, zur Sommerfrische in das aufblühende Kurbad Warmbrunn/Cieplice zu fahren oder dem winterlichen Skivergnügen um die Gebirgsorte Schreiberhau/Szklarska Poręba und Krummhübel/Karpacz zu frönen. Der Anschluss der Kreishauptstadt Hirschberg/Jelenia Góra 1866 an das Eisenbahnnetz und die touristische Erschließung des bis dahin „wilden” Riesengebirges machte die Region noch attraktiver. In kaum vier Stunden (!) reiste der Zuggast von Berlin nach Hirschberg. Überall im Tal entstanden Übernachtungsmöglichkeiten, selbst der abgelegenste Bergbauernhof bot Zimmer an. E.T.A. Hoffmann, Theodor Fontane und natürlich auch die Brüder Carl und Gerhart Hauptmann brachten dem Tal zusätzliche Popularität. Die landschaftliche Attraktivität der Region lockte zudem zahlreiche Künstler und auch namhafte Architekten an, die den entstehenden Villenvierteln einen besonderen Charakter verliehen.

Nach der Reichsgründung 1871 entwickelte sich das Tal sowie die Orte entlang der schlesischen Sudeten bald zur beliebtesten Region für pensionierte Offiziere und Vertreter der bürgerlichen Oberschicht. Dadurch entstanden zahlreiche Villenkolonien vor allem in Bad Warmbrunn und Hirschberg, aber auch in den Gebirgsorten wie zum Beispiel in Schreiberhau, Krummhübel sowie Bad Flinsberg/ Świeradów-Zdrój. Diese in sich geschlossenen Ortsteile, in ihrer Qualität durchaus vergleichbar mit dem Dresdner „Weißen Hirschen”, der Colonie Alsen oder Dahlem in Berlin, waren komplex angelegte Viertel mit architektonisch durchgeplanten Straßenmustern und formal gestalteten Plätzen. Die Villen folgten dem wilhelminischen Stil eines repräsentativen Gebäudes mit Erkern, Giebeln, Fachwerkelementen, oft ergänzt durch Remisengebäude. Die Gärten waren kleiner parzelliert als bei den vorhergehenden, solitär in die Landschaft gebauten klassizistischen Landhäusern.

Mit dem 1. Weltkrieg fand diese städtebauliche Entwicklung ein jähes Ende. Die Bautätigkeit erholte sich in der Region nach 1918 nur langsam und erreichte auch nicht mehr die bauliche Ausführungsqualität der Kaiserzeit. Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und der Verschiebung der Grenzen fielen die Kurorte und Villenkolonien in einen tiefen Dornröschenschlaf. Das Joch des Kommunismus kam hinzu. Gerade die großzügig entworfenen Villen verfielen unter Verlust der historischen Substanz und wurden oft rücksichtslos in kleinere Wohneinheiten aufgeteilt. Es verfielen ganze Straßenzüge. Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte keine für diesen Bautypus vorteilhafte Entwicklung ein. In der Regel wurden die Gebäude für sehr kleine Beträge an mehr- oder minder zufällig in den Häusern lebende Bewohner von der Stadt veräußert, die entweder kein Interesse an einer baulichen Sicherung hatten oder hoffnungslos inhaltlich oder finanziell überfordert waren. Durch die oft unglückliche Aufteilung wurden die Instandsetzungen zusätzlich erschwert.

Auch dem Denkmalschutz fehlten Know-how und personelle Ressourcen, um diese tragische Entwicklung zu unterbinden. Es gab zudem zunächst wichtigere Aufgaben wie die Sanierung der Kirchen und Schlösser in der Region. Der dynamische touristische Aufschwung in der Region nach dem Beitritt Polens zur EU führte zu völlig unkontrollierten Bebauungsaktivitäten und einer fortschreitenden Zersiedlung des Tals. Alles Vorhergehende wurde in seiner negativen Auswirkung weit in den Schatten gestellt, das Resultat ist eine ohne jede städtebauliche Ordnung entstehende Siedlungsstruktur von Neubauten ohne Ortsbezug.

Die Villenkolonie in Bad Warmbrunn

Eine bedeutende Kolonie war zwischen 1909–1914 am Rande des Warmbrunner Kurparks entstanden und ist typisch für die letzte Phase der Villenbebauung im Tal vor 1914. Die Architektur bis ca. 1908 folgte weitestgehend den klassischen, historisierenden Beispielen des Wilhelminismus, vergleichbar zu finden u.a. in den Berliner Villenvororten. Diese architektonische Strömung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Hirschberger Tal zunehmend kritischer gesehen. Der prominente spätere Provinzialkonservator Schlesiens, Professor Günther Grundmann (1892–1976), gehörte zur einer zahlreicher werdenden Gruppe von Kritikern, die diesen zur schlesischen Kulturlandschaft bezugslosen Baustil als deplatziert empfanden.

→ Beitrag weiterlesen im GAL Nr. 74, S. 19 …


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