Kammerswaldauer Bethauskirche

von Gerhard Hartmann

Auf den Seiten des internationalen Fotoforums „www.fotocommunity.de“ hat der Hobbyfotograf Ryszard Basta unter dem Stichwort des schlesischen Ortsnamens „Kammerswaldau/Komarno“ ein schönes Bild seiner ehemaligen evangelischen Bethauskirche ins Netz gestellt. Der markante achteckige Bau ähnelt den von den Weihnachtsschnitzereien aus dem Erzgebirge bekannten von 1776-79 erbauten Seiffener Kirche mit ihren umstehenden Sängerknaben. Wie sie vermittelt die Kammerswaldauer Bethauskirche – tief eingeschneit – auch heute noch ein besonderes Weihnachtsgefühl. Das schöne, wenn auch sichtlich angeschlagene, Bethaus von Kammerswaldau findet ungebrochen seine Bewunderer. Im Internet kann man eine ungewöhnlich große Anzahl von Bemerkungen zu Ryszard Bastas Foto lesen. Dort wird sein trauriger Zustand beklagt. So heißt es etwa: „Und so verkommt wieder ein Stück wertvoller Kulturbesitz – unwiederbringlich. Wenn nicht ein Wunder geschieht. Aber wo geschehen noch Wunder in unserer Zeit.“ Oder: „Sehr schönes altes Gemäuer. Vielleicht fühlt sich ja mal jemand dafür verantwortlich, um so ein Kleinod nicht verfallen zu lassen – zu wünschen wäre es.“ Und: „Vielleicht wird sie noch gerettet. Wäre nämlich sehr schade um dieses Bauwerk.“

Wo aber liegt Kammerswaldau und wie ist seine Bethauskirche entstanden? Das heutige Komarno liegt 11 km östlich von Jelenia Góra/Hirschberg. Wer von dort der Nationalstraße Nr. 3 nach Breslau folgt und in Maciejów/Maiwaldau nach links abbiegt, erreicht es nach nur 4 km. Bereits aus dem Jahre 1305 stammt die erste urkundliche Erwähnung der Ortschaft als „Kemreswalde“. Als erster Besitzer von Kammerswaldau lässt sich 1549 Balthasar von Zedlitz fassen. Seine Familie ist nach Angabe des genealogischen Familienvereins der „von Zedlitz“ um 1270-80 aus dem Voigtland nach Schlesien eingewandert. Lange Jahrhunderten waren die von Zedlitz im Besitz dieses Gutes. 1686 verkaufte der Stadtrat von Hirschberg „die Obergerichte über Kammerswaldau dem Friedrich von Zedlitz für 100 Rthlr. baare Zahlung“ (HENSEL 1797). Im Jahr 1770 gehörte Kammerswaldau dann Johann August Baron von Bothmar (+1804). Nach seinem Tod ging Kammerswaldau an einen General Lindner über. Er besaß es nur etwa bis 1830. Bis 1837 war das Gut darauf in Besitz der „Frau Landrätin“ von Stosch, einer geborenen von Mustowska. 1837 kauften es schließlich der „geheime Kommerzienrat“ Johann Friedrich (1784-1842) und seine Ehefrau Luise Lösch, geb. Hollmann (*Wolfenbüttel 1802; +Kammerswaldau 1861) aus Breslau. Sie und ihre Nachfahren lebten auf dem dortigen Schloss, das sich auch heute noch glücklicherweise in einem recht gutem Zustand befindet. Ihr Sohn, Heinrich Balthasar von Loesch (*Kammerswaldau 1838; +wohl 1922), „Landesältester, Kreisdeputirter, Rittermeister a. D. und Mitglied der deutschen Adels¬genossenschaft sowie Rittergutsbesitzer auf Kammerswaldau“, erbte 1861 den elterlichen Besitz. Er wurde 1872 geadelt, seitdem schreibt sich die Familie mit „oe“. Dessen Sohn wiederum, Ernst Heinrich von Loesch, verheiratet mit Martha, geborene von Boyneburgk, sollte der letzte Kammerswaldauer Gutsbesitzer sein. Er starb 1945 in einem Flüchtlingslager in Hoyerswerda an Diphtherie. Sein Sohn, Achim von Loesch, wurde als letzter Spross seiner Familie am 16. Juli 1923 noch in Kammerswaldau geboren. Dr. Achim von Loesch, heute in hohem Alter von 88 Jahren in Frankfurt am Main lebend, hat sich noch 2001 die Mühe gemacht, mit dem Büchlein „Kammerswaldau: Die Geschichte eines schlesischen Dorfes, seines Schlosses und seines Rittergutes“ seinen Heimatort vor der Vergessenheit zu bewahren. Zur Geschichte der Bethauskirche schreibt er: „Trotz der Einschränkung, nur Bethäuser zu errichten, empfanden die Evangelischen die Erlaubnis, eigene Gottesdienst¬räume zu erbauen, als großen Gewinn. Anfangs fehlte es vielen noch am nötigen Geld. Deshalb begann man in Kammerswaldau das Bethaus erst zu bauen, als sich die wirtschaftliche Lage nach dem Siebenjährigen Krieg wieder gebessert hatte. Als es soweit war, errichtete man die neue Bethaus-Kirche im Mittelpunkt des Dorfes in unmittelbarer Nähe der alten katholischen Kirche.“ – Es folgt sodann eine kleine Bau- und Kunstgeschichte der Bethauskirche. Als ihren Grundriss wählte man ein Oktogon, was wohl einerseits der augenblicklichen Mode (siehe Seiffen!), andererseits aber vor allem dem beengten Bauplatz geschuldet war. 1769 legte man den Grundstein, 1772 weihte man das neue Gotteshaus ein. Erbauer war der Maurermeister Demus aus Hirschberg, die Baukosten hatten 4.000 Taler betragen. Schon zuvor war das Pfarrhaus errichtet worden. Erst im Jahr 1822, zum 50-jährigen Jubiläum des Bethauses, setzte man auf sein Dach einen Turm, den man bewusst der Turmspitze der benachbarten katholischen Kirche aus dem 17. Jahrhundert anglich, um ein einheitliches Bild zu gewinnen. Ein Kuriosum war zudem, dass die Evangelischen ihre neue Kirchenglocke aus statischen Gründen nicht im Turm ihres Bethauses aufhängten, sondern nach freundlicher Genehmigung im soliden Turm der katholischen Kirche. Hier wurde Ökumene wahrhaftig gelebt! Es ist eine in Schlesien selten anzutreffende Besonderheit, evangelische und katholische Kirche inmitten eines Ortszentrums so nahe beieinander zu sehen. Das auch stilistisch harmonische Ensemble des katholischen und des evangelischen Gottes¬hauses gab dem alten Kammerswaldau – und gibt dem heutigen Komarno sein unverwechselbares Ortsbild.

In Anlehnung an die bestehenden Friedens-, Gnaden- und anderen großen Bethauskirchen in Schlesien wurden auch im kleinen Kammerswaldau im Inneren des Bethauses zwei Emporen hochgezogen. Das ganze Dorf hätte so auf den drei Ebenen der Kirche Platz nehmen können! Vielleicht dachte man damals an Zuwachs, doch 1786, nicht lange nach Vollendung des Bethauses, lebten in Kammerswaldau nur 20 Bauern, 28 Gärtner und 160 Häusler – zusammen mit ihren Familien gerade einmal etwa 1.010 Personen. Die Kanzel, von der im Sinne des evangelischen Glaubens mit seinem Leitsatz „sola scriptura“ die Predigt als Herzstück des evangelischen Gottesdienstes verkündet wurde, fand ihren Platz beinahe in der Mitte des Kirchenraumes. Die Orgel wurde, wie damals allgemein üblich, an der Altar und Kanzel gegenüberliegenden Wand auf der ersten Empore aufgestellt. Geschaffen hat sie der Orgelbaumeister Meinert aus Hirschberg im Jahr 1791 zum fünfzigjährigen Jubiläum der Wiedererlangung der Glaubensfreiheit. Denn bereits im Jahr 1741 hatte die damalige Gutsherrin von Kammerswaldau, die verwitwete Baronin von Tschammer, von ihrem neuen Landesherren, Friedrich II., eine königliche Konzession zur Wiederherstellung des evangelischen Gottesdienstes erhalten. In den folgenden Jahrzehnten erfuhr der Innenraum des Bethauses eine weitere reiche Ausstattung. Die Gutsherrin, Frau von Bothmer, stiftete 1793 einen Taufstein aus Kaufunger Marmor sowie ein Taufbecken und eine Kanne aus Silber, die bis 1945 im Gebrauch der Gemeinde war. 1816 erhielt das Gotteshaus einen gläsernen Kronleuchter, und 1914 – fast einhundert Jahre später – wurde aus den Mitteln der „Traubibelstiftung“ der Familie von Loesch eine repräsentativen Bibel als Kanzelbibel angeschafft. Sie fand als einziges Ausstattungselement des Bethauses ihren Weg nach Deutschland und kann auch heute noch in der Kammerswaldauer Betstube in Alfeld/Leine besichtigt werden.

Bis aus Kammerswaldau 1946 Komarno wurde, hegten und pflegten die Mitglieder der alten Gemeinde ihre geliebte Bethauskirche. Nach Flucht und Vertreibung der deutschen Schlesier und der Ansiedlung von polnischen Neubürgern, die zum großen Teil aus heute ukrainischen Gegenden stammten, wurde das ehemalige evangelische Bethaus zunächst baulich etwas verändert, um eine Zeit lang als katholische Kirche genutzt werden zu können. Schließlich wurden die Heilige Messe jedoch wie seit alters her gewohnt wiederum in der alten katholischen Kirche gefeiert. Die alte evangelische Bethauskirche blieb dagegen erstmals seit ihrer Entstehung ungenutzt und war so fortan dem Verfall preisgegeben. Es sollte auch nichts nützen, dass sie bereits am 23. September 1965 von den polnischen Behörden unter dem Register Nr. A/909/1408 unter Denkmalschutz gestellt worden war.

Erst mit Augustyn Oleksy, der Anfang Juli 1983 die Pfarrstelle in Jelenia Góra-Macieów/Maiwaldauer übernahm, keimte neue Hoffnung für das schöne Bethaus auf, denn Komarno/Kammerswaldau gehört noch heute zu seinem Kirchspiel. Von Antritt seines Pfarramtes an zeigte sich Pfarrer Olesky von dem einmaligen Ensemble von katholischer Kirche und evangelischem Bethaus im Dorfzentrum in Kammerswaldau angetan und sann darüber nach, wie er wohl das wertvolle Gebäude restaurieren, zukünftig nutzen und damit seiner Rettung zuführen könne. Die für die vor allem von der Landwirtschaft lebenden polnischen Dörfer schwere Vor- und Nachwendezeit ließ aber lange Zeit keinen Raum zu handeln offen. Trotzdessen reifte bei Pfarrer Olesky langsam der Plan, das alte Bethaus zukünftig als Begegnungsstätte verschiedener Religionen und zu einem kulturellen Treffpunkt auszubauen, wo z. B. Konzerte, Vorträge und auch Feste stattfinden können. Doch nicht zuletzt sollte das markante achteckige Bethaus auch um seiner selbst willen als einzigartiges Denkmal schlesischer Kulturgeschichte gerettet werden.

Um zunächst die dringendsten Renovierungs- und Sicherungsarbeiten durchführen zu können, beantragte Pfarrer Olesky bereits vor einigen Jahren bei der Behörde für Denkmalschutz des Breslauer Marschallamts eine finanzielle Unterstützung. 2009 wurde dem eingereichten Antrag mit der Gewährung eines Zuschusses in Höhe von 90.000 Złoty endlich entsprochen – aber nur unter der Bedingung, nochmals die gleiche Summe von anderen Unterstützern zu erlangen. Der damalige Bürgermeister der Stadt Jannowitz/Janowice Wielckie, zu der die Ortsgemeinde Kammerswaldau kommunalrechtlich gehört, erklärte sich bereit, die weiteren 90.000 Złoty zur Restaurierung des Bethauses aus dem Gemeindebudget beizusteuern. Die nötigsten Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten liefen also im Juli 2010 an und waren bis Dezember desselben Jahres wie geplant abgeschlossen. Nun brachten aber die polnischen Kommunalwahlen im November letzten Jahres einen Wechsel im Bürgermeisteramt von Janowice Wielckie mit sich. Der neue Amtsinhaber sah sich nach einem Kassensturz nicht mehr in der Lage und willens, die Unterstützungszusage seines Amtsvorgängers aufrecht zu erhalten. Der Fortgang der Restaurierungsarbeiten muss seitdem eine Zwangspause einlegen. – Doch Pfarrer Olesky gibt die Hoffnung nicht auf, die Arbeiten, zunächst durch Spenden unterstützt, bald wieder anschieben zu können. Neben der regionalen polnischen Presse hat er auch zu den alten deutschen Schlesiern, ihren Vereinen, Stiftungen und Zeitschriftenredaktionen mit der Bitte um Unterstützung Kontakt aufgenommen: Zur „Schlesischen Bergwacht“, zu „Schlesien heute“, zum „Hirschberger Heimatbund“, zur „Erika-Simon-Stiftung“, zum „Verein zur Pflege Schlesischer Kunst und Kultur (VSK)“ mit seinen „Gruß aus Lomnitz“ und zu vielen anderen Einrichtungen und Privatpersonen. Das schöne Bethaus soll unbedingt vor dem Verfall gerettet werden. Von deutscher Seite war man sich schnell einig, dass ein Erfolg am besten durch die Bündelung aller Kräfte zu erreichen sei. Man kam überein, alle möglichen Hilfsleistungen über ein von Gerhard Hartmann (am 16. Februar 1945 in Kammerswaldau geboren und in der dortigen Bethauskirche getauft, seit 1999 Heimatbetreuer von Kammerswaldau und seit 2008 Vorsitzender des Heimatbundes Hirschberg) eingerichtetes Spendenkonto laufen zu lassen. Gleichzeitig will man die polnische wie deutsche Öffentlichkeit auf dieses außergewöhnliche Bethauses und die kultur- und glaubensgeschichtliche Wichtigkeit seines Erhalts aufmerksam machen. Die gesammelten Spendengelder sollen zunächst für besonders herausragende Elemente des Bethauses – wie z. B. die Eingangstür – verwendet werden, um auf diese Weise den Baufortschritt zu dokumentieren, neue Unterstützer für das Projekt zu gewinnen und die polnischen Behörden zu überzeugen, dass sich ihr weiteres Engagement unbedingt lohnt und internationale Anerkennung findet.

Wenn Sie Fragen oder Anmerkungen zu unserem Projekt haben, hier die Adresse von Gerhard Hartmann: Im Tale 1, 38259 Salzgitter, Tel. +49(0)5341/31830; mobil: +49(0)172/5992356; . Wer etwas spenden will, bitte auf speziell eingerichtete Spendenkonto: Stichwor “Bethaus Kammerswaldau”, Gerhard Hartmann, Konto Nr. 4420201, BLZ 2709255,5 Volksbank Wolfenbüttel-Salzgitter eG; Spendenbescheinigungen für das Finanzamt können auf Anfrage erstellt werden.